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INTRO Kolumne: Warum sich der kleine Lord ruhig mal die Haare waschen könnte

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Müsst Ihr Euch an Weihnachten auch immer vorstellen, wie der kleine Lord heimlich eine Zigarette raucht oder am Hermannplatz von Klassenkameraden ordentlich was auf die Fresse bekommt, weil Cedric ein unfassbar »schwuler Name« für einen langhaarigen Pubertierenden ist?

Mit seinem Boho-Häckelkragen und der Berlin Mitte-Frise könnte der kleine Pleppo heute vermutlich problemlos in einem American Apparel Katalog abgebildet sein und würde höchstwahrscheinlich auch über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um seiner bedürftigen Mutter ein schönes Paket mit bunten Macarons zum Fest der Liebe nach Hellersdorf zu schicken. Enge Leggins trägt der kleine Lord ja ohnehin schon voller Inbrunst und wenn sein klobiger Körper nicht so speckig aufgedunsen wäre, könnte sich der junge Mann von der Gage noch häufiger unter dem Solarium rumaalen. Das würde auch dem alten Earl von Dorincourt, der sich als Ziehvater des kleinen blonden Engels versteht, ein Like unter einem der unzähligen Cedric-Selfies entlocken. Aber sollte der alte Earl nicht ohnehin lieber mehr mit Gleichaltrigen rumhängen oder bin ich da bloß etwas zu kritisch? Ist also eigentlich alles gut so wie es da im Fernsehen gezeigt wird? Ich meine: Mit der hungrigen Mutter und dem devoten Jungen? Whatever. Da steckste nicht drin!

An Weihnachten drehen ohnehin alle Sendeanstalten gehörig durch. Im Fernsehen wird ein Megafilm nach dem anderen abgeschossen. Alles Fiction, Märchen und Fantasy. Und alles nur damit Mutter beim GTA V einpacken ein bisschen heile Welt in ihr Herz reinpampen kann, während der Haselnussschnaps die Leberzellen weiter zerlegt und Vater den Schlüssel für den Waffenschrank irgendwo in der Wirtsschänke verlegt hat.

Wundert sich denn heute keiner der Zehnjährigen mehr über tschechische Kindermärchen? Warum sind da alle Tiere so unfassbar verloddert? Ganzkörperglatzen an Ziegen und Wölfe mit Kinderfleischkrümeln im Fell? Ich will gesunde Märchen sehen! Märchen, in denen alle Tiere so gut aussehen, dass ich mir rein hypothetisch vorstellen könnte, sie sofort zu verspeisen!

Wie unrealistisch ist das denn bitte? Wenn ich persönlich das letzte Einhorn wäre, würde ich immer mit fettigen Haaren rumlaufen. Sieht ja schließlich keiner mehr! Ich würde bestimmt auch unvernünftig schnell Auto fahren, schrecklich viele Cinnabons essen und über jedes Gericht Ahornsirup schütten. Ich würde in der U-Bahn schwarzfahren und müsste laut kichern, weil ich mir ab diesem Jahr auch endlich das Porto für Weihnachtskarten sparen könnte. Vermutlich hätte ich aber schon längst ein Kickstarter-Projekt gestartet um mich zu klonen. Ich bin ja schließlich nicht total blöd. Aber wie so ein irrer Anthroposoph durch den halben Wald hetzen (ohne Funktionsschuhe) nur um ein anderes Einhorn zu finden, ohne dabei Technik (böse!) zu benutzen, das käme für mich nicht in Frage. Wenn dann noch so ein »dahergelaufener« Schmetterling behaupten würde, ich wäre der letzte meiner Art, würde ich erstmal mit dem iPhone Mutter anrufen. Gut, die ginge dann gegebenenfalls nicht an den »Apparat«. Ich würde dann erstmal was Witziges twittern: »Wenn ich angeblich das letzte Einhorn bin, wieso trage ich dann überhaupt eine Hose?«

»Kevin – Allein zu Haus«, ist das überhaupt realistisch? Muss sich ein Junge, der von seinen Eltern in diesem Alter alleine zu Hause vergessen wird, wirklich vor zwei obdachlosen Einbrechern mit niedrigem IQ fürchten? Müsste man nicht eher Angst davor haben, der hyperaktive Junge bekäme schon bald die erste Abmahnung von Redtube oder einen auffallend roten Kopf, wenn die nächste Kreditkartenabrechnung einen dreistelligen Betrag an Dominos Pizza ausweist und man die zu engen Hosen nicht mehr mit »Wachstumsschub, das ist normal in diesem Alter!« abtun kann?

Ich wünsche mir doch zu Weihnachten bloß eine heile Welt und vielleicht, wenn das Christkind dieses Jahr megagut drauf ist, dass Markus Lanz sich das Gesicht in Zukunft nicht mehr mit »Kohle und Schuhcreme« für seine Saalwetten schwärzen möchte.

Mehr Ada und meine monatliche Kolumne natürlich auf INTRO.

Published 9 Jan 2014