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Kampagne zum Fremdschämen

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Muss Werbung eigentlich um jeden Preis auffallen? Wo genau liegen die Grenzen des guten Geschmacks? Auffallen um jeden Preis?

Im Fokus: Die aktuelle SIXT-Kampagne

Heute überraschte der Autovermieter SIXT auf seiner Facebookseite mit einer kontroversen Social Media Kampagne. Oliver Voss, der ehemalige Vorstand von Jung von Matt, ist der “kreative” Kopf hinter dem Clou. In der Kampagne wird Gerwald Claus-Brunner, der als Mitglied der Piratenpartei im Abgeordnetenhaus von Berlin sitzt, mit dem Text “Total beliebt. Und keiner weiß warum. Die Piraten: Günstige Brise” und einem - zugegebenermaßen - etwas dümmlichen Gesichtsausdruck dargestellt. Daneben befindet sich das gleiche Foto mit einem lächelnden Brunner, dem mit infantilen - sehr Clipart anmutenden - Bildbearbeitungsmitteln ein Lenkrad und eine Rennfahrerhaube ins Bild geschnitten wurde. Unter dem besagten Bild findet sich der Slogan “Total beliebt. Und jeder weiß warum. Sixt Cabrios: Grünstige Preis”.

Wo genau liegt eigentlich die Idiotie dieser Werbung, die mich entfremdet, aber zeitgleich auch viele Menschen anspricht? Welcher Texter hat das verbrochen? Clicks gibt es in diesem Fall lediglich für das Beipflichten zur ohnehin schon bestehenden allgemeinen Belustigung über die Piraten Partei. Die Kampagne ist ein schneller Klatscher, der für sein lautes Geklatsche gerne weiteres Geklatsche von Menschen, die gerne Klatschen erzielen will. Inhaltslosigkeit hat sich in diesem Fall schon derart abstrahiert, dass man gar nicht mehr weiß, worüber man hier eigentlich lacht (Ich lache lieber gar nicht). Notfalls, und wenn einem kein Grund mehr einfällt, klatscht man eben für die reine Provokation und über einen Gerwald Claus-Brunner, der optisch und durch seine Kleidung alles andere als den normative Durchschnitt eines Politiker oder Menschen darstellt.

Lieber Texter, Inhaltslosigkeit kann nicht auf der einen Seite kritisiert werden und auf der anderen Seite das selbstgewählte Stilmittel für eine Kampagne darstellen. Die Schlange beißt sich selber in den Schwanz. Ob diese Art von Werbung langfristig für ein Unternehmen gut ist? “Die Piraten: Günstige Brise” Kritik ist sicherlich in vielen Punkten möglich, aber dann auch bitte zielsicher und inhaltszentriert. Irgendwie verschwimmt alles zu Ignoranz.

Die Kampagen könnt Ihr hier ansehen.

Wer diese Werbung 2012 noch als radikal und provokant empfindet, der kann bei SIXT ohnehin kein Auto mehr mieten, weil er vermutlich schon lange seinen Führerschein abgegeben hat.

Werbung hatte schon immer den Vorteil Werbung zu sein. Hier kann so gut wie alles erlaubt sein. Die Grenzen sind geweitet. Die Grundvoraussetzung ist allerdings immer Treffsicherheit, Information und Humor gewesen. Ich erinnere an die heiß diskutieren Hitlerkampagnen.

Aber Vorsicht! Zum einen wird durch die Benutzung des Konterfeis von Brunner die Kampagne leicht persönlich. Die Aussage lautet schnell: Keiner weiß, warum dieser Typ so beliebt ist. Man projiziert Belustigung auf eine einzelne Person. Der Bezug zur Partei und die eigentliche Kritik geht leider verloren. Der ungeschulte Betrachter wird sich in erster Linie über Herr Brunner, seine Kleidung und sein Kopftuch lustig machen. Möchte sich eine Firma damit identifizieren?

SIXT besticht hingegen mit der neuen Piraten-Kampage durch die unterschwellige Botschaft “Provokation!” und “Bitte bringt uns ins Gerede!”. In werbetechnischer Hinsicht ein Kurzschluss. Jeder Fan, der etwas liket oder teilt ist ein potenzieller Kunde, Käufer, Sympathisant und Multiplikator. Gerne fungiert er aber als dieser ohne sich selber mit paradoxen Inhalten zu benetzen. Achte deinen Kunden und begibt dich mit deinen Fans auf die gleiche Augenhöhe! Leider hat sich in letzter Zeit ein neuer Trend definiert: Mit provokante Inhalten die Teilfreudigkeit der User rauszukitzeln. Mich langweilt das. Es bleibt die Frage wie effizient diese Art von Werbung ist? Kann Werbung, die potenzielle Kunden für stumpfsinnig verkauft wirklich erfolgreich sein? Schließlich füllt Mario Barth ja auch seine Hallen. Sich kollektiv lustig machen, das funktioniert im ersten Moment ganz gut. Wenn die ersten Lacher verklungen sind, merken aber meistens selbst die Dümmsten der Dummen schnell, dass sie nur für die platte Publikation leerer Inhalte benutzt wurden.

Die Grenze des guten Geschmacks wird durch Humor definiert. Sind die Witze das Produkt aus Information und Wissen rund um das Objekt (Feminismus, Nerds, Nazis, Frauen, Ökos oder was auch immer), dann kommen sie humorvoll und intelligent daher. Wenn der Witz aber aus Ignoranz, Gehässigkeit und Multiplikationsabsicht getätigt wird, dann bleibt er nur eines: Peinlich für den, der ihn tätigt. Und langweilig für mich.

Published 18 Apr 2012