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Die 90er Megaparty oder Wege in die Misanthropie

"Wow, wir haben Gästelistenplätze für die 90er Megaparty!", schrie ich und wir fühlten uns wie total erhabene Bildungswichser, die bei RTL direkt immer weiterschalten und sich Parmesan über ihren Grana Padano streuen. Meine Fresse, so eine 90er Party mit Opfern aus dem Umland. Das könnte ein guter Blogartikel werden. Ich wollte viel, bekam noch mehr und musste am Ende nur noch weinen. 

 

Weinen, weil ich das alles nicht mehr lustig fand und weil man mir auf dem Rückweg ein Fahrrad auf dem Kopf abstellte.

 

 

Die Plakate für die große 90er Megaparty fielen mir erstmals bei meiner kleinen Berlintour ins Auge, über die ich jüngst in diesem Blog berichtete. Mega. Alleine schon das Wort! Kai Ebel findet "Mega" nicht mehr zeitgemäß.  "Affengeil, das müssen wir hin!". Und das taten wir auch. 

 

 

Mit der merkwürdigen Tram 21, die ausschließlich in absolut unattraktive Ostbezirke und raus aus der Stadt führt, transportierten wir unseren Alkohol zur Traprennbahn nach Karlshorst. Jahrelang fragte ich mich, wer diese Tram benutzt. Gott höchstpersönlich muss diesen Verkehrsweg extra gebaut haben um menschlichen Abfall raus aus der Stadt zu karren. Weiße Stiefel gelten als legale Fahrkarten. Noch waren wir bester Dinge. Etwas schadenfroh und in Erwartung auf ein paar fehlgeleitete Frühdreißiger und Sonnenbankunfälle. Immerhin ist alles umsonst und ich brauchte Füllsel für meine "Ein Sonntag" Idee für den Blog. Und dass ich mich trotz Alkohol nicht amüsieren werden würde können, das ahnte ich noch nicht. Mir machen Menschen Angst. Es wurde unangenehm.

 

 

Zugegeben, nach zwei Cocktails unterschätze ich häufig die Breite meiner Schulter und mein Türrahmen anzurempeln ist nicht nur äußerst belustigend für mein Umfeld, sondern zudem auch noch sehr schmerzhaft und entwürdiged für mich - und dadurch noch unterhaltsamern für alle, außer mir. Unterwegs tranken wir merkwürdige Softdrinks mit Wodka, Goldkrone und Rum, so dass wir auf den 100m Luftlinie zur Traprennbahn Karlshorst, wo das "Megaevent" stattfinden sollte, drei Mal zum Pinkeln und zwei Mal zum "Grundlage schaffen" an verschiedenen Döner- und Broilerbuden anhalten mussten. 

Dies wäre der Zeitpunkt gewesen, um noch ein "Alles in bester Ordnung!" an die Mutter loszuwerden bevor der Sturm losbricht.

Im Grillhaus, wo wir eine charaktervolle Dönerbox dinierten unterhielten sich drei Baseballmützenträger über Moneyboy, Realness und Haftbefehl. Doch dann kam die Angst.

 

Vor der Halle ausschließlich Hemdträger mit Basketballschuhen und Frauen, die unmöglich spitz-zulaufende Stiefel trugen. Die Inhalte der Unterhaltungen machten mit Angst, Ich wollte umdrehen und den Ausflug unter "Naja, aber immerhin etwas gegessen!" abbuchen, mich zuhause mit Christian Kracht ins Bett legen und Limo trinken. Nach einer Zigarette machten wir uns gegenseitig Mut und gingen dann doch rein. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen.

 

Der Mann am Einlass sagte zu den drei blondierten Typen vor uns "Wenn Ihr Euch noch jemand sucht, dann kommt ihr für den Viererpreis rein. Und das ist fünf Euro günstiger!". Mir fiel wieder ein warum ich Groupon so schrecklich hasse und fühlte mich unwohl.

 

In der Halle werden wir von einem höllischen Lärm und vollkommen übersteuerten Lautsprechern empfangen. Übersteuerte Menschen. Die Hemdkrägen höher als der IQ. Alles dröhnt. Billig produzierte Beats, wippende Motivshirts und tiefe Ausschnitte, die signalisieren sollen, dass man leicht zu haben ist. Jeder hier ist leicht zu haben. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Nacht. Frauen verhalten sich. Männer verhalten sich. Mich beschleicht das dumpfe Gefühl Emanzipation könnte hier gescheitert sein. Und wieder kann man niemandem einen Vorwurf machen, außer der Gesellschaft. Und die kann man nicht mal im Ganzen anspucken. Ich will einen Schuldigen.

 

 

10 Gründe, warum ich Menschen hasse - die 90er Megaparty Edition:

 

1. Rosa Hemden und Make-Up-Ränder bei Männern

2. Weil sich über Musik tänzerisch lustig machen in etwa so lustig ist wie Holocaustwitze und Vegetariern Rinderbrühwürfel in den Kaffee werfen

3. Das Minimotorrad auf der Bühne

4. Weil ausnahmslos alle "Schuhe" auf dieser Party aus dem Dong Xuan Center in Lichtenberg stammen

5. Weil der DJ das Publikum mehrere Stunden alle vier Minuten fragt "Und, habt ihr Bock auf Brooklyn Bounce?" und immer alle im Einklang "Whoooo!" antworten

6. Weil mich eine ziemlich unfreundliche Person mit "Entschuldigung, Du sitzt auf unseren reservierten Stühlen!" mitten in der Halle anschreit und ich "Ich sehe hier keine Schilder!" antworte und sie mir dann mit "Ich hol die Security!" droht und ich mit "Ja, was auch immer!" antworte

7. Weil fünf Minuten später ein Security erscheint, der sich für ziemlich wichtig hält und mich ohne zu fragen direkt anschreit "Sofort aufstehen!". Weil ich ihm antworte "Warum?" und weil er wieder schreit "Sofort aufstehen!". Ich stehe auf, beuge mich vor und spreche ihm direkt in sein kleines angewachsenes Ohr, das sich vor zu intensiver Solariumleidenschaft leicht pellt. "Ich habe hier kein Schild gesehen. Aber wissen Sie was? Sehen Sie hier mein Schild? Nein. Schade! Denn darauf steht ICH GEBE KEINEN FICK, ALTER!". Dann gehe ich zwei Meter weiter, wo sich direkt der nächste Mensch von meiner bloßen Erscheinung gleich derart provoziert fühlt, dass er mich affig antanzt und mein Bier mit seinem muskulösem Oberkörper leicht verschüttet. Ich beuge mich wieder vor und sage "Durch dein Hemd in der Hose wirkt dein Genitalbereich voluminöser und das gefällt mir!" und verlasse diese Ecke der Halle. Sie wissen jetzt, dass wir nicht dazugehören.

8. Weil der Ausgang aus der Halle mit einem Bauzaun versperrt ist und händisch geöffnet werden muss. Man muss darum bitten die Halle verlassen zu dürfen. Wie schlimm sich das anfühlt.

9. Weil synthetische Textilfasern schneller nach Schweiß riechen

10. Mono-Menschenmassen

 

 

Seit ich mich erinnern kann, jagen mir Mono-Massen große Angst ein. Viele Menschen, die alle gleich zu ticken scheinen, die die gleichen Interessen haben und ähnlich gekleidet sind, auf engstem Raum. Zusammen. Als eine Einheit. Die hässliche Psychologie der Masse. Diese pubertäre gegenseitige Hochschaukeln und "Eins fühlen". Ich möchte mich nicht Eins fühlen. Ich möchte kein Ganzes ergänzen. Gerne bin ich das verfickte Teil, das zum Ganzen fehlt. ich möchte alleine sein und meine Ruhe haben.

 

Mir war alles irgendwann zu viel. Ich sackte kraftlos und menschlich desillusioniert an der Wand im Eingang zusammen. Dies war mein letzter großer Flug. Ich möchte das nicht mehr mit diesen Menschen und der Musik und der Gesellschaft, Staat und "Eine Welt". Ich schaffte es noch eben auf der Damentoilette einen kritischen Lippenstift-Schriftzug zu hinterlassen, bevor ich fluchtartig die Halle verlasse. Bis zum Hauptact Brooklyn Bounce habe ich es nicht ausgehalten und mehr habe ich nicht zu erzählen.

 

 

Wenn das die 90er sind, dann möchte ich rückwirkend direkt nach meiner Geburt sterben. 

Published 16 Oct 2011