Die Dürüm Depression
Meine Stimmungen sind wie schöne, wilde Tiere. Fremd und irre. Von Außen sind sie bestimmt wunderbar zu beobachten. Faszinierend und etwas gefährlich. Sie sind unvorhersehbar und wenn man ihre schillernde Schönheit endlich erkannt hat, liegt man bereits mit zerbissenem Genick unter ihnen oder sie sind schon längst ausgestorben. Nicht mehr greifbar. So ist das. Und das ist nicht immer schön. Das war es nie.
Gerade ist wieder Dürüm und Selbsthass angesagt. Doch was war passiert?
Hallo, ich bin Ada und ich habe extreme Stimmungsschwankungen. Ich habe sie einfach. Ich möchte das Wort “leiden” nicht benutzen. Ich leide nicht unter ihnen. Ich leide in erster Linie an mir selbst. Also habe ich sie. Diese Schwankungen zieren meine Biographie schon sehr lange und manchmal sind die Perioden kurz und intensiv, manchmal nur wie ein leichter Schleier, der sich schmierig über einige Wochen legt und den Blick verdunkelt. Aber immer sind sie da, weil ich es auch bin. Ich kenne mich nur so. Labil. Zerbrechlich. Emotional. Weinend. Vor Glück kreischend. Bester und schlechtester Mensch der Welt zugleich.
An die Zeit bevor das alles mit den Brüsten, der Überheblichkeit und den Zweifeln kam, erinnere ich mich kaum. Mein Tagebuch erzählte mir jüngst etwas anderes und ich erschrak. Die Geschichte vom inneren Wert und dem Wert der Welt. Mein Selbstwertgefühl ist immerzu betrunken und taumelt. Und das schon echt lange. Ganz schön irre, denke ich mir und fahre mir den dritten Dürüm am heutigen Tag im abgedunkelten Wohnzimmer rein, während sich in meinem Mailaccount die Verpflichtungen zu riesigen Bergen, zu unüberwindbaren Gebirgen anhäufen und alles zerbricht, so denke ich. Den Spiegel habe ich vor einiger Zeit umgedreht. Ich antworte kaum mehr. Ich versacke. Freunde kennen das mit mir bereits. So bin ich, sagen sie. Zumindest glaube ich das. Freunde wissen, man lässt mich etwas, rede ich mir ein. Bald gehe ich bestimmt wieder aus. Bald wird es wieder gut sein. Die Ada fängt sich immer irgendwie. Ach Ada! Kein Bock mehr auf Stillstand. Ich will dort draußen wieder an den Dingen teilnehmen und ich will mehr vom verschissenen Tag haben als die Zeit zwischen meinen Dürüms abzusitzen und mich dafür zu hassen nur die Zeit zwischen meinen Dürüms abzusitzen.
Irgendwann war ich mir unsicher ob das alles so muss. Ob ich noch ausreiche. Ob ich nicht lieber klein bleiben wollte. So ohne Brüste. Ohne Rollenbild und ohne Ansprüche. Die anderen funktionierten doch immer so herrlich. Ich wollte das auch. Wollte, dass mein Körper passte. Wollte Hobbys, die ein Mädchen wollen sollte. Mit Ansprüchen habe ich heute noch meine Probleme. Mit 28 kann ich es nun sagen, ich habe noch nie Ansprüche enttäuscht. Ich war immer exzellent in der Schule. Ich war fantastisch im Ich sein. Ich war nahezu perfekt im perfekt sein. Schnellstes, schlaustes, schönstes Kind. Dann kam Unsicherheit. Aber warum? Ja, warum eigentlich?
In all der Bemühung wurde ich irgendwann rebellisch. Und ich wurde traurig. Ich optimierte mich im Enttäuschen von Ansprüchen auf das höchste Maß. Mit 11 oder 12 oder 13 habe ich zum ersten Mal erlebt wie man sehr traurig ist. Dieser Gefühl war neu und intensiv. Mit meinem Minipiano habe ich die kompletten Sommerferien im Dauerregen am Fenster meines Kinderzimmers gesessen und mich fremd gefühlt. Alleine. Einerseits selbst genau so gewollt, so sagte ich mir, aber andererseits halt eben trotzdem verdammt alleine. Mich verstand keiner mehr. Warum weinte das Kind so viel? Warum traf es keine Freunde mehr? Warum schaute es nur noch Nachrichten und weinte wegen der Welt?
Immer ist etwas und ich wünsche auch heute noch oft genug, wenn es mir gerade sehr schlecht geht, dass mich das alles nichts angehen würde und das mal nichts wäre. Welt ausknipsen. So ein Herz aus Stein, schade dass man sich nicht bewusst dafür entscheiden kann. Zumindest wenn man so ein schwacher Kerli ist, wie ich es dann immer von mir glaube. Sei es der gottverdammte Hund, den meine Eltern mir nicht kaufen wollten, als ich gerade 12 war und ich mich einsam fühlte. Sei es der Balkankrieg über den ich Gedichte und Songs mit Tränen in den Augen schrieb, sei es der Gazakonflikt heute und die dumme Scheiße die immerzu abgeht. Antisemitismus. Die Menschen sind so dumm. Ungerechtigkeit überall. Im Fernsehen. In den Menschen. In den Herzen. FUCKTHATSHIT! Dumme Sätze, die dumme Idioten auf Facebook teilen. Ich kann es nicht mehr filtern. Ungebremst bratscht die ganze negative Kacke durch einen durch und zersiebt das Innerste. Abends weint man viel. Morgens liegt noch unendlich Tag vor einem. Anstregend, Es ist manchmal eben alles zu viel. Man will die Welt aus seinem Leben entfernen, findet aber das Lösungsmittel nicht.
Hier könnte die Erzählung eigentlich zu Ende sein. Wenn es da nicht auch die andere Seite geben würde. Anstrengend.
Plötzlich passiert mit mir etwas. Wenn die Depression verschwindet. Leider geschieht es nicht, wie es vorgesehen ist, so dass man durchatmen kann. Es passiert das genaue Gegenteil. Ich werde schnell, flink, schillernd. Ich klappe auf wie ein Messer, das mit spitzer Klinge durch die Welt rast. Plötzlich wechseln sich meine Kleider, das Leben wird bunt, und ich laufe lachend durch die Straßen. Der schönste Papagei der Welt und was der zu erzählen hat, wird gehört. Man lächelt mich wieder an. Ich sehe plötzlich wieder aus. Ich tausche den Dürüm gegen aufwendige Speisen, die ich mir in aller Sorgfalt und Selbstliebe stundenlang zubereite. Ich decke den Tisch. Ich bilde mich. Ich esse auf einem Stuhl sitzend und nicht auf dem Sofa. Ich arbeite, flaniere, funktioniere. Soll die Welt mich doch sehen. Anstrengend. Die Zweifel, die noch einige Tage zuvor in mir wohnten, welche es mir nicht erlaubten am hellichten Tag auf die Straße zu gehen oder Freunde zu treffen, weil ich so schrecklich aussah, wie ich glaubte, oder so ein schlimmer Loser war, wie ich annahm, sind wie weggeblasen. Anstrengend. Ich bin die schönste Person der Welt. Ein echter Erfolgstyp.
In meiner Jugend bin ich in diesen Phasen nächtelang um die Häuser gezogen, habe gestohlen, Raptexte geschrieben, gekifft und mir Jungs klargemacht. Sex. Heute kenne ich mich ein wenig und muss dann am meistens auf mich aufpassen. Anstrengend. In den Momenten in der Nacht, wenn ich plötzlich um vier Uhr noch das Haus verlassen will. Weil ich so glücklich bin, dass die Sorgen endlich weg sind. Anstrengend. Wenn man sich plötzlich federleicht und leer fühlt, weil man abhebt und schwebt, denn die Schwere ist aus einem herausgelaufen. Einfach so. Unverwundbar. Anstrengend. Weil man auferstanden ist, unter diesen Trümmern an emotionaler Scheiße, die nun in der Retrospektive total dumm, kindisch und bescheuert wirken. Weil man alles das geleistet hat. Spitzentyp. Wie Jesus. Anstrengend. Unter der Woche. Nachts. Aus dem Haus. In die Welt. Ins Leben. Um Drogen zu kaufen, zu sprechen und einfach etwas zu tanzen.
Ich muss dann besonders auf mich aufpassen, denn ich mag gar nicht der irrsinnige Spitzentyp sein. Ich mag im Grund lieber daheim und ganz, heil und unversehrt bleiben. Und Partydrogen mag ich nicht. Weil ich groß geworden bin und stolz auf mich sein kann. Dann passe ich heute auf mich auf, dann schreibe ich und male. Weil ich das inzwischen kann. Mir soll nichts passieren, denn ich bin wertvoll. Niemandem soll etwas passieren. Man muss auf sich aufpassen!
Dieses Foto ist während der schlimmsten Phase der letzten Wochen entstanden. Im Regen. Beim Schwimmen. Ich hatte kurz das Gefühl normal zu sein. So ohne Spitzentyp oder Loser. Wie sich so ein Mensch eben fühlt, wenn er im warmen Wasser treibt und kalte Regentropfen auf seine Füße fallen. Ganz schön in Ordnung. Und das reicht mir auch schon, um sagen zu können, ich bin in Ordnung so wie ich bin und ich mach das einfach mal weiter.