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INTRO Kolumne: CSI Ottweiler – Die Deutschen und ihr Tatort

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Da werden jeden Sonntag seit rund zweitausend Jahren 1,2 Millionen Piepen öffentliche Rundfunkgelder aufgewendet, um dem devoten Zuschauer vor Augen zu führen, dass Claude-Oliver Rudolph zwar ein Gesicht hat, auf dem man problemlos Zitrusfrüchte auspressen kann, dafür aber festere Oberarme als man selbst mit Mitte Zwanzig. Na Dankeschön, ARD! Der innere Montag kann also schon am Sonntagabend beginnen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen »Tatort« geguckt:

Es ist mir ein unerklärliches Rätsel wie ich es siebenundzwanzig Jahre lang geschafft habe, den »Tatort« ohne jeglichen Kraftaufwand wegzuignorieren. Denn laut einer Studie gucken einhundert Prozent der Menschen im Freundeskreis – speziell in meinem - die kriminalistischen Ermittlungsbemühungen zwischen profillosen Kaffeevollautomaten und wenig stimulierenden anthrazitfarbenen 5er-BMW-Ermittlungsfahrzeugen. Aber wir Deutsche haben ja schließlich auch keinen Ocean Drive. Den Fans genügt offenbar die Abwesenheit eines Ferrari 308 GTS, um der Sendung einen Eventcharakter abzugewinnen, den ich leider viel zu mühsam suchen muss.

Wer nur ein einziges Mal eine amerikanische TV-Serie geguckt hat, wird »Tatort« nicht mehr bedenkenlos gut finden können. Kennen diese Menschen Steve McQueen nicht? Haben sie Torte zu Hause und greifen trotzdem lieber zum Brot? Doch selbst das hätte mehr Charme und Tiefgang als ein nüchterner Til Schweiger, der neuerdings auch für die Quote ermitteln darf. Der Deutsche liebt eben sein Brot und »unseren« Til. Leider will das weiße Jackett von Sonny Crockett nicht recht in deutsche Wohnzimmerlandschaften passen. Statt LA oder New York haben wir Ottweiler und Sulzbach, Veronica Ferres als Erika Steinbach, Hannelore Elsner als Uschi Glas und Claude-Oliver Rudolph als Typ mit Gummihose und beneidenswerten Armen. Eigentlich sehen Schießereien mit Schwarzen natürlich cooler aus, dafür heißen unsere Kommissare aber Stellbrink oder Borowski, tragen ausgebeulte Physiklehrerhosen und haben nicht das nervenaufreibende Charisma eines Magnum, der mit seinem Bart Sehnsüchte bei beiden Geschlechtern weckt. Das hatte immer nur Matula, auch ohne Schnorres.

Viertel nach Acht. Ich schalte den Fernseher ein. Drei Vier-Zentner-Männer füttern sich andächtig mit Miniwürstchen. Ob ich bei »Bauer sucht Frau« gelandet bin, denke ich, weiß aber gleich, dafür sind die Schauspieler und die Musikauswahl zu schlecht. Es ist ein ganz normaler »Tatort« mit dem vorhersehbaren Titel »Eine Handvoll Paradies«, für den 1,2 Millionen Euro in Bockwürste investiert wurden - was mich durchaus wieder versöhnlich stimmt.

Im Saarland gibt es eine einzige Bundesstraße und an der wird der lederne Kadaver von Rocker Rüdiger gefunden, den man neckisch »Rüde« ruft. Der Alltag der Rocker-Gang »Dark Dogs«, der sich im Großen und Ganzen darum dreht, mit digital vertiefter Stimme über »Höllenmaschinen« zu sprechen, interessiert den Zuschauer. Der Anführer der Gang heißt »Mutti« und verteilt sein Taschengeld in Form von Heroinspritzen in die Leiste. Neunzig Minuten Sendezeit kriegt man damit schon irgendwie gefüllt.

Was ist das Erfolgsgeheimnis des deutschen »The Wire«? Das Format ist ein waschechter Unterhaltungszigeuner und präsentiert sich in wechselnden Städten. Jeder darf mal ran, hat seinen eigenen Lokalkommissar und kann sich dabei irgendwie fühlen. Die Dialoge sind entmenschlicht und eine Rocker-Bande ohne Martin Semmelrogge wirkt peinlich klamaukig, trifft aber den Nerv der Menschen, die Sonntagabends keine Pläne haben. Und das sind viele. Dann doch lieber Mickey Rourke, weniger straffe Arme oder »Sons of Anarchy« auf Netflix anschauen, wo niemand »Und by the way“«sagt, um sich bei der jungen Zielgruppe anzubiedern.

Nicht mal eine Werbepause zum Abpinkeln wird einem gegönnt, so dass die ständige Angst etwas Belangloses zu verpassen eineinhalb Stunden im Beiwagen der Langweile mitreist. Bloß nichts unternehmen, was mehr Spaß als der »Tatort« bereitet: Bad putzen oder den Spülmaschinenabfluss mit den Händen freipuhlen. Ich lasse den gebührenfinanzierten Instagram-Filter mit Tiefenunschärfe einfach weiter passieren und fühle mich schmutzig. Brauchen wir das? Man könnte den Tatort doch einfach absetzen und von den eingesparten Gebührengeldern Christoph von der »Sendung mit der Maus« endlich einen neuen Pullover kaufen. Aber mitdenken tut im Öffentlich-Rechtlichen sowieso keiner und der errechnete Todeszeitpunkt der Zuschauer liegt am Sonntagabend seit über vierzig Jahren auf Viertel nach Acht.

Mehr Ada und meine monatliche Kolumne natürlich auf INTRO.

Published 27 Aug 2013