INTRO Kolumne: Got To Dance
Moment mal, der niedliche Howie von Take That ist inzwischen Vierundvierzig und hat das graumelierte Haupthaar eines pensionierten Physiklehrers? Richtig, und falls wir es vergessen haben, wir sind auch nicht mehr Vierzehn, sondern zwischen 25 und 35, leben in den inneren Bezirken Berlins, einige auch in Hamburg oder München, und sind offenbar immer noch hochempfänglich für kurzweilige Popmusik, schrille Neon-Kleidung, dicke Bässe und harten Wettbewerb. Aber ist das nicht eigentlich eine gute Nachricht?
Ich meine, es könnte weitaus schlimmer sein: Unsere Eltern hatten in diesem Alter bereits stillschweigend resigniert und fanden sich plötzlich nach freier Liebe, Drogenkonsum und Brandstiftung mit Bayer AG Aktien im ockerfarbenen Einfamilienhaustraum wieder. Sie empfanden die Musik der jungen Menschen, die inzwischen ihre Kinder waren - denn die hatte man als kleines Eingeständnis für seine Sesshaftigkeit wie selbstverständlich nebenher in die Welt geschleudert - als »anstregend« und wiederholten starrsinnig »Ätzend!« in die ideologische Leere des auf solide zweiundzwanzig Grad beheizten Hobbyraums. Die gute Nachricht lautet aber: Wer heute, mit Ende Zwanzig, einen Zugang zu Dubstep und B-Boying findet und die durchtrainierten Bodys der Kandidaten bei »Got To Dance« ertragen kann, ohne sich gleich einen Finger in den Hals zu schieben, wer das Format konsumieren kann ohne darüber zu philosophieren, dass elektronische Musik keine »echte« Musik sei, weil es keine Instrumente gibt, bei dem besteht durchaus noch Hoffnung.
Ist es nicht ein beruhigendes Gefühl, es jedes Mal aufs Neue auf die Kette zu bekommen, sich mit kontemporären Trends auseinanderzusetzen, statt sich ihnen zu versperren? »Got To Dance« scheint der geeignete Rorschachtest zu sein, um tief in die eigene Seele blicken zu können. Sind wir im Allgemeinen interessiert? Turnt uns Wettbewerb noch? Oder wollen wir einfach mit unserem Wachsfigurenkabinett aus Erinnerungen und LP-Regalen in Ruhe auf der Stelle stehen, bis irgendwann der Krebs die Bodenklappe unter uns öffnet und wir einfach im Nichts verschwinden?
Die Jury besteht aus Nikeata Thompsen, eine aus Stahlbeton gegossene Tanzmaschine, die mehr Emotionen als ein echter Mensch mit sich führt. Die anderen beiden Jurymitglieder Palina Rojinski, die durch die Sendung neoParadise bekannt wurde, und Howard Donald, das ehemalige Take-That-Mitglied, kommen ebenfalls aus dem Tanzbusiness und scheinen über ein integres Grundgerüst an Respekt und Fairness gegenüber harter Arbeit und dem Mut der Kandidaten zu verfügen, das uns durch andere Castingshows bereits erfolgreich abtrainiert wurde.
Wie wunderbar organisch sich eine sonst nicht ganz so überzeugende Palina in dieses Wettbewerbsformat einfügt, indem sie einfach das tut was sie am besten kann und nicht klanglos bei dem Versuch untergeht, tiefgreifende Kultur-Inhalte zu produzieren, wie bei ihrem Auftritt in der Sendung »Durch die Nacht mit « auf ARTE. Wo ein offensichtliches Gefühl für Mode, Trends, Musik und Bewegung vorhanden ist, braucht es nicht den kräftezehrenden Aufwand mit Frida Gold in einer »hippen« Berliner Werbeagentur über Social Media, Selbstdarstellung und Markenkommunikation zu sprechen, denn das geht voll in die Hose. Dann schon lieber bei »Got To Dance« diejenigen Tänzer aussortieren, die besser auf den Tag der offenen Tür in der Gesamtschule Brühl passen oder eben den kleinen Jungen feiern, der aussieht wie ein von Titus gesponsorter Stephen Hawking. ProSieben kaufte sich das Format in Großbritannien ein und erzielt derzeit eine durchgängige Einschaltquote von acht Prozent in den ersten Sendungen. Vielleicht ist der Grund dafür ganz simpel darin zu suchen, dass mit »Got To Dance« endlich eine Talentshow präsentiert wird, in der sich alles ohne heuchlerischen Pathos um das Subjekt »Tanz« dreht, und nicht wie bei anderen Shows um einen fiktiven Preis und unrealistische Versprechen. Der Sieger erhält seine 100.000 Tacken auf die Hand. Keine halbseidenen Karrierchancen für die Gewinner und keinen hässlichen Opel Adam, für den man im Drive-In ohnehin nur ausgelacht wird, damit kann man als Zuschauer doch gut leben.
Mehr Ada und meine monatliche Kolumne natürlich auf INTRO.