INTRO Kolumne: Stuckrad-Barre
Benjamin von Stuckrad-Barre ist so ein Typ über den Dieter Moor verliebt schwärmen würde, er hätte ein markantes Gesicht. Die NEON nannte den WELT-Journalisten, der derzeit die interessanteste Polittalkshow im deutschen Fernsehen moderiert, in ihrer jüngsten Ausgabe den »neuen Helmut Schmidt« und tat ihm damit unrecht. Stuckrad-Barre ist ein gedankenflinkes Journalismuswiesel, das meist nur selektiv an seinem Gegenüber interessiert ist, dafür aber genau in diesen Teilaspekten seine Gäste rhetorisch so weit auseinanderfleddert bis ihr aufklaffender Brustkorb dem Zuschauer einen unverstellten Blick auf ihr hässliches oder schönes Inneres freigibt.
Der sinnlose Optimismus von Politikern stimmt ihn traurig, sagt der Moderator über sich selbst. EURO-Themen kann und will er einfach nicht. Das macht ihn besonders sympathisch. Er lässt sich seine Langeweile während der Sendung nicht nur anmerken, sondern thematisiert diese als Teil des Showkonzepts. Und die Rechnung geht auf: Durch die Konfrontation der Gäste mit seinen Befindlichkeiten und Sympathien, die nur selten positiv daherkommen, entsteht ein spannender Talk, der in der Woche vor den Bundestagswahlen täglich auf Tele 5 (dem Star Trek Sender) ausgestrahlt wurde. Stuckrad-Barre ist also das ziemlich genaue Gegenteil von Markus Lanz: Authentisch.
Im Allgemeinen ist es nicht meine Art Angst vor etwas zu haben, es sei denn ich soll Teil eines »interaktiven Publikums« sein. Die Mail der Stuckrad-Barre Redaktion lag also in meinem Postfach. Ob ich zur Sendung eingeladen werden wollte, fragte man mich. Klar wollte ich. Einige Tage später fiel mir dann wieder ein, was ich doch für ein scheuer Mensch bin und ob ich nicht unter Umständen der denkbar ungeeignetste Kandidat für die Befüllung eines Studiopublikums wäre, das eigentlich klatschen und lachen sollte, anstatt mit verschränkten Armen nervös auf den Boden zu starren und den Magen voll Fingernägeln zu haben. Aktiv sein, das ist nichts für so welche wie mich und spröde Haare habe ich auch. Gar nicht gut für diese Fernsehdinger, dachte ich mir. Aus diesem Grund vergaß ich vermutlich auch die Absage abzuschicken. Ich reiste also am Tag der Aufzeichnung mit dem Fahrrad an. Fernsehwerft Berlin. Ehemaliges MTV Gebäude. Studio 2. Zum Glück, denn der Abend kam ganz anders als erwartet:
Ich betrat mit überwältigender Lust auf angstlösende Canapés und einen schalen Sekt das Studio in Berlin Friedrichshain. Was würde in dieser Aufzeichnung passieren? Wer würde zu Gast sein? Immerhin hatte ich als Fanboy der Sendung sogar meinen Sommerurlaub an der Adria unterbrochen um die Folge zu sehen in der Kurt Beck sich »gehen lässt«.
Ohne Schnittchen wurden wir im Publikum platziert und kurz eingewiesen während der Sendung nicht hungrig in die Kameras zu schauen. Heute sollte die große letzte Aufzeichnung der Talkshow stattfinden. Stuckrad-Barre begrüßte uns, verschwand dann wieder und dann war die Sendung auch schon vorbei und ich fand mich auf den Toiletten wieder, abpissend, direkt neben Heide Simons, die in dieser Folge der geladene Studiogast war, und die nun ihre Blase einige Zentimeter neben mir entleerte.
Christian Ulmen, der Produzent des Formats, hat mit Stuckrad-Barre eine Idee verwirklicht, die jenseits der immer gleichen, repetitiven Talkshows liegt, in denen Politiker ihr altbewährtes Medienkonzept ungehindert abfahren können, ohne durch den Moderator auch nur im Entferntesten umgeleitet zu werden. Also 30% Wahlprogramm durchnudeln, 50% die Wahlprogramme der anderen Parteien schlecht reden, 10% »witzige« Anekdoten über die Besonderheiten des Ehepartners »ausplaudern« und 10% aufgesetzte Lockerheit. In der Regel hundert Prozent Langeweile.
Mit seinem Sidekick Markus Feldenkichen vom SPIEGEL, zieht Stuckrad-Barre sich regelmäßig während der Show zu einer kurzen Bestandsaufnahme zurück, um sich wie ein Bluthund auf widersprüchliche Aspekte und Aussagen des Gegenübers schärfen zu lassen und diese dann im Fortlauf der Sendung umfassender zu vertiefen. Der Gast hört derweil alles mit und darf schon mal ungebremst Adrenalin ausschütten. Man muss dabei im Hinterkopf behalten, dass Politiker performen wie Vollprofis, die es gewohnt sind 24/7 ihre Person und die Ziele der Partei zu vermarkten. Was bleibt aber hinter der Fassade zurück, wenn man diese nicht nur einreißt, sondern die Person sogar dazu bringt diese selbst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, einzureißen? Darin liegt nichts Gehässiges, sondern etwas sehr Wahres. Hier entsteht Unterhaltung. Stuckrad-Barre schafft es mit seinem Sinn für die Details der Kommunikation den Menschen hinter den Politfiguren rauszuprügeln und das kann je nach Gast auch mal verblüffend positiv daherkommen, wie bei Dorothee Bär, oder merkwürdig beängstigend, wenn auch weniger überraschend, sein. So bekam Bernd Lucke, der Parteivorsitzende der Alternative für Deutschland, der Menschen mit Migrationshintergrund als »Bodensatz der Gesellschaft« bezeichnete ein paar gerechte Fausthiebe vom Gastgeber und Günther Beckstein von der Jungen Union versuchte vergeblich eine Waschmaschine zu bedienen. Momente, die mehr aussagen als ganze Parteiprogramme.
Das Konzept von Christian Ulmen funktioniert hervorragend und schafft Inhalte durch die bewusste Entfernung von diesen und gehört daher zum Pflichtprogramm für diejenigen, die bei schweren TV-Unfällen im Fernsehen gerne hingucken möchten. Es müsste mal ein Markus Lanz zu Stuckrad-Barre eingeladen werden! Wir hoffen auf eine nächste Staffel.
Mehr Ada und meine monatliche Kolumne natürlich auf INTRO.