Jeder ist 30
Es ist immer ein etwas sonderbar anmutendes Gefühl, wenn man obenrum bekleidet und untenrum vollkommen entblößt auf der mintfarbenen Liege eines nach Rauch riechenden Gynäkologen liegt und mit unbekannten Händen und kalten Instrumenten in sich rumgreifen lässt, wie eine Gans am Heiligen Abend. Nur ohne Apfelbefüllung. Manchmal, und das ist das Gute, stimmt dann alles, und das ist auch in Ordnung so, und manchmal stimmt dann eben nichts, und dann muss man damit irgendwie zurechtkommen.
Ich verließ die schön gestaltete Praxis (wenn man denn den Geschmack einer 50jährigen Chemielehrerin teilt) an diesem Tag, nur eine Woche vor meinem 30sten Geburtstag, mit ambivalenten Gefühlen. Emotionen wie eine gemischte Tüte machten sich in mir breit und peitschten mein Inneres in eine wunde Masse. Man will ja aus dieser Süßüberraschung eigentlich nur eben gerne alle Speckmäuse und sauren Schnüre in sich reinstopfen und wenn man dann aber in das Papiermonster reingreift, hat man nur die braunen Haribo Konfekte und vielleicht noch eine bescheuerte Schaumbanane in der Hand und soll damit dann zufrieden sein. Immerhin keine ernstzunehmende Krankheit, dachte ich mir, dankte keinem Gott, und hielt eines dieser superfancy Ultraschall-Fotos in der Hand, die meine anderen 30jährigen Freunde (und das sind derzeit alle) immer und immer wieder auf Facebook posten. Zuhause zeigte ich das kleine Bild dann meinem Freund. Was dann geschah - ihr werdet es nicht glauben!
Das Foto zeigt den vollkommen korrekten Sitz einer Kupferspirale in meiner Gebärmutter. Ich bin 30. Ich habe Angst vor Kindern. Ich weiß, das klingt ziemlich daneben. Veantwortung liegt mir in vielen Bereichen. Ich bin ein echter Chef-Typ. Ein echter Macher. Gewinnermensch mit Ideen und Führungsqualitäten. Ich finde es beruhigend, wenn ich die Strippen für das Gelingen oder Scheitern von Projekten in der Hand halte. Ich scheue mich nicht. Ich bin ehrgeizig. Ich bin ein starker Charakter, das weiß ich. Ich schätze das an mir. Kinder hingegen ängstigen mich und ihre reine Präsenz im Freundeskreis oder in meiner physischen Umgebung bereitet mir Gänsehaut.
Den Vertrag einer lebenslangen Bindung. Die schreckliche Angst zu versagen. Schon im Vorfeld. Vielleicht. Mit der falschen Partnerwahl. Dem Gebähren in der falschen Lebenssituation. Falsche Entscheidungen. Fehlende Empathie. Ein Versprechen, dass ich gerne geben würde, aber befürchte, dass ich es nicht einhalten und erfüllen kann. Ein Perfektionist mit Angst vor dem Scheitern. Ausgelöst durch einen 30sten Geburtstag. Als wenn jemand mein 14jähriges Ich gefragt hätte, ob es nun ein Kind bekommen mag. Die gleichen Ängste wie eh und je. Ich bin nicht älter geworden in den letzten 16 Jahren. Nicht in dieser Hinsicht. Ich habe gelernt, im besten emanzipatorischen Sinn, mich durchzusetzen, mich als Person zu etablieren, zurechtzukommen, zu arbeiten, einen Sinn zu stiften und mich zu mögen.
Aber was, wenn man ein Kind bekommt und dann ist es mit 20 ein Rassist oder behandelt andere Menschen schlecht?
Mütter müssen die mutigsten Menschen auf der ganzen Welt sein und dafür danke ich ihnen von Herzen. Mutter war ein wahrer Optimist. Zwei Mal. Mein Bruder und ich. Wir sind eine Familie geworden durch ihren Mut und ihre Bereitschaft ein Risiko einzugehen.
Das sind keine Probleme. Das sind Privilegien!
Wir, die Generation Nudeln mit Buttersoße, wird dieses Jahr 30. Jeder von uns. Wir arbeiten in Berlin. Wir sind erfolgreicher denn je und wir haben unsere Vorstellungen und Ziele, die wir umsetzen. Kinder haben wir keine. Dabei haben wir Gebärmütter, Gebärmutters, Gebärmütterinen, oder wie auch immer der Plural des Teils heißt, dass wir bisher immer so ausser Acht gelassen haben. Immer öfter kommt uns der Gedanke - zu alt zu sein. Sich irgendwann nach einem langen Run mit beruflichen und charakterbildenden Erfolgen zurückzubesinnen auf genau das, was uns immer begleitet hat: Familie. Der Ursitz aller Neurosen, Sprallotäten, Ängsten und der Hauptwohnsitz der Liebe und Verbundenheit.
Vor einigen Tagen postete ich meine Story des letzten Jahres auf Facebook. Es ging mir nicht immer gut. Das letztes Jahr hatte es in sich. Aber ich konnte für mich sorgen. Mehr möchte ich gerade nicht, im Nachhinein betrachtet. Auf mich aufpassen. Und vielleicht ein bisschen nett sein und etwas abgeben. Im nächsten Jahr. Nette Dinge schreiben oder Menschen helfen, denen es nicht so gut geht: 10 Ways To Help Refugees in Berlin
Hier der Link zu meiner Amazon Wishlist, falls mir jemand eine Freude machen möchte: AMAZON BLITZWUNSCHWUNDERLISTE ZUM 30STEN GEBURTSTAG
Nächste Woche fahre ich meine Eltern besuchen. Das erste Mal mit 30. Vielleicht wird alles anders sein. Vielleicht steht aber auch meine Mama jeden Abend vor dem Schlafengehen mit ihrem Nachthemd in meinem Kinderzimmer und fragt, ob ich noch fünf Minuten mit ihr ins Bett komme. Und dann liegen wir zusammen etwas rum und ich bin immer noch das Kind einer Mama. Für immer wahrscheinlich. Und beeindruckt über ihren Mut, das bin ich. Und ich werde es mit dem Alter immer mehr.