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Neid im Internet

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Neid im Internet ist ein ewiges Thema. Der eine hat etwas, das man auch haben könnte. Aber wieso hat man es nicht? Ungerecht! Sie verdient so viel, das könnte man eigentlich ja auch. Aber wieso eigentlich sie? Die kennt so viele Promis. Aber die sind sowieso alle kacke. Die hasse ich! Und ausserdem könnte ich das auch. Der macht ja nur Müll! Ich gönne dem nichts. Wieso hat der alles und ich nicht? Wieso hat die so viele Follower? Die hat das alles nicht verdient! Und was ist überhaupt mit mir? Wo bleibe ich?

Mal angenommen: Es ist 10:45 Uhr und ich lade ein Foto meines Frühstückkaffees auf der Plattform Instagram hoch, denn ich möchte etwas teilen, was ich gerne mag und was mich gerade sehr gefreut hat. Ein leckerer Kaffee in der Sonne. Zwei Minuten später meldet sich ein Follower zu Wort: “Hipster! Essensfotografie ist doch eh behindert und deine ganze Scheiße interessiert doch eh niemanden!” Ein Tweet von einem anderen User folgt kurz darauf: “Ich schreibe besser auch mal ein Buch ‘Pinienkerne aufs Essen werfen und alles voll hübsch und so!’” Vielleicht schreibt ein weiterer Nutzer auf irgendeiner Plattform auch “Halt´s Maul! Du nervst!”. Und dann folgen beliebige andere Kommentare, die sich im ähnlichen Tonus fortsetzen. Vielleicht ist mal kurz Ruhe. Vielleicht bekommt man mal auf ein Foto oder Statusupdate keine böswilligen Kommentare. Man wundert sich schon fast, wenn man mal etwas publiziert und die Kritik ist konstruktiv.

Es ist 11.30 Uhr und ich twittere: “It really hurts if someone you once loved is laughing about your books, your way of living and your philosophy.” Die Replys und Antworten auf meinen Facebookstatus sind nicht alle nett. Das sind sie nie. “Wenn ich nicht wüßte, wie man Interferenzfehler vemeidet, würde ich lieber gar nichts schreiben!” oder “Dann denk halt mal darüber nach, dumme Kuh!” Vielleicht nicht die schönsten Antworten, die man in einem kurzen Moment der Verletzlichkeit erhalten möchte, aber leider sind sie immer gegenwärtig und müssen irgendwie bearbeitet/verarbeitet werden. Wie geht man mit solchen Kommentaren um? Und wie funktioniert eigentlich dieser Mechanismus, der dafür sorgt, dass sich ein nicht so geringer Teil der Internetnutzer durch das Darstellen der eigenen Person immerzu provoziert und angesprochen fühlt?

Die einfache Faustformel “Wenn Dich nicht interessiert was ich schreibe oder Du mich als im Internet agierende Person nicht magst, wenn Du ablehnst wie ich arbeite oder lebe, dann folge mir nicht!” scheint zu kurz gegriffen. Das Gefühl ein Anrecht auf das Leben, Handeln und Denken einer Person zu haben, spielt in der Neid-Thematik ebenfalls eine kleine Rolle. Neid ist der Motivator für große Massen an inhaltsloser “Kritik”, die letzlich doch nur auf die Person abzielt. Inhaltsleer und überflüssig.

Die Art Mensch, die ihr Charakterprofil nur über die Fehler anderer oder Gehässigkeiten über andere bildet.

Bis vor einiger Zeit war ich ein Mensch, der über jede Zuschrift und jede gottverdammte Reply nachdachte und versuchte darin einen Mehrwert für meine Person zu entdecken. Das führte zum einen zu schmerzlichen Momenten (“Warum hasst der/die mich so?” - “Was habe ich denen denn getan?”), und zum anderen dazu, dass ich schlicht und einfach meine Zeit verschwendete. Das Internet ist ein selektiver Raum. Daher nehme ich unkonstruktive Kritik nicht mehr ernst und denke darüber nicht weiter nach. Das funktionierte nicht von heute auf morgen, sondern ist Teil eines langen Erkenntnisprozesses, den ich Euch weiter ausführen möchte:

Wer seine Zeit mit Gehässigkeiten und dem Austeilen von Verletzungen verschwendet, signalisiert deutlich, dass der Adressat dieser Zeitaufwendung ein Teil seines selektiven Lebens und seines selbstbestimmten Medienkonsums ist. Dabei ist es egal wie sehr er beteuert, dass ihm der Adressat egal sei - er hat ihn bereits längst zu einem Götzen erhoben.

Ich will nicht am laufenden Band mit den Schwächen anderer Menschen konfrontiert werden, die versuchen diese durch Zerstörung meiner Person in eine Stärke zu katalysieren!

Aber wer sind diese Menschen eigentlich? Ein Phänomen, das wir nicht nur aus der Netzwelt kennen, sondern auch aus unserem Alltag. Menschen, die sich immer nur dann melden, wenn jemand einen Fehler macht oder einen kurzen Moment verletzlich und angreifbar erscheint. Wenn die Wortmeldung mal wieder lediglich dazu dient sich über eine Person zu stellen, um das eigene Ego zu erhöhen. Häufig wird diese Gehässigkeit fälschlicherweise als Humor verpackt (um sich als Urheber solcher Äußerungen nicht moralisch angreifbar zu machen) und verletzt schlechtestenfalls den Adressaten. Warum es das aber nicht tun sollte, möchte ich in diesem Blogbeitrag erläutern:

Ignorieren! Die Kommentare abstellen! Blockieren! Du darfst das nicht so an Dich heran lassen! Du weißt doch wie das Internet ist! Die Liste der Ratschläge ist endlos lang und alle anderen “Betroffenen” solcher Neidkommentare, scheinen gut damit zurechtzukommen. Wir vergessen dabei oft, dass die wenigsten gerne über ihre Verletzlichkeit sprechen und zugeben möchten, wie schwer es ist, wenn einem Erfolg und Glück nicht gegönnt wird.

Die fabelhafte Silenttiffy veröffentlichte kürzlich eine interessante Trilogie über das Thema “Neid” in ihrem Blog (die im Folgenden als Zitat markierten Stellen stammen aus ihren Artikel):

I Der dumme Neid

II Rat für Neider

III Es ist nicht alles Neid, was grantelt

“Ich hasse den Anblick von Hüllen großer Talente, die der Neid zerfressen hat, bevor sie sich entfalten konnten. Schlaflos machen mich auch die Opfer des Neides, denen dieses Unrecht widerfährt. Was soll diese unnütze Emotion eigentlich? Was kann man tun, wenn man ohnmächtig ist vor Neid? Wie geht man als Beneideter mit Neidern um? Kann man dieses Unkraut auch jäten?”

Neid ist deshalb schlecht, weil er sich nicht in etwas Konstruktives formen lässt. Missgunst möchte nicht Kreieren, ausser das eigene Ego. Es gibt keine Möglichkeit aus den Kommentaren von Neidern bereichernde Erkenntnis zu gewinnen und diese dann zum Wachsen und Weiterentwickeln zu nutzen. Wir müssen lernen damit zu leben: Zerstörerische Kommentare sind immer vorhanden und möchten unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit stehlen. Wir müssen ihnen beides nicht geben, auch wenn es in den Fingern kribbelt zu antworten und sich zu rechtfertigen.

Sich zu rechtfertigen ist immer gut, aber nur inhaltlich und nicht als Person.

Ich halte es meist so, dass ich Menschen nicht bewerte/abwerte, die mir mit Neid oder Missgunst entgegentreten. Diejenigen Menschen, die meiner Person bewusst oder unbewusst Schaden zufügen wollen. Ich entferne sie einfach kommentarlos aus meinem Alltag und widme mich den Dingen, die mich nicht lediglich bremsen.

Bei dem Phänomen “Neid” handelt es sich nicht um ein reines Internetphänomen und ich stehe auch nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und des Neids, sondern der Neidmechanismus betrifft auch unzählige andere Menschen. Viele von Euch werden es noch aus Schulzeiten kennen, wenn “Freunde” Eure erzielten Erfolg relativieren: “Naja, du hast aber so viel gelernt! Das war ja auch klar, dass du eine gute Note schreibst.” Ich habe diese Menschen schon immer konsequent aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis gestrichen - allerdings ohne sie abzuwerten und mit Verständnis für ihr defizitäres Denken. Anfangs fühlte sich das “Aufgeben” von Menschen, von Freunde, von Lesern, Followern, potenziellen Kunden oder Bekannten schwer und falsch an, tat aber zusehends besser und besser.

“Über das Gefühl des Neides kann man sagen, dass ihm bestimmte zu hinterfragende Annahmen zugrunde liegen. Erstens: Das, was der Beneidete hat, ist toll. Zweitens: Der Beneidete misst der Sache denselben Wert zu wie ich. Und drittens: Meine Vorstellungen vom Glück, das diese Person aus dem Besitz der Sache zieht, stimmen mit ihrem subjektiven Glück überein. Im praxisnahen Beispiel könnte Neider Fritzi denken: „Also, Murmels Blog ist eins der meistgelesenen in Deutschland. Man, das ist toll! Ich wette, Murmel geht da jeden Tag einer ab, bei den Besucherzahlen. Wenn ich so gut schreiben könnte, hätt ich voll das Traumleben. Wie Murmel.“ Schön wäre, wenn Fritzis Gedankengang nun eigene Initiative folgen würde. Wenn Fritzi Top-Blogger werden wollte, könnte er sich ein Beispiel an Murmel nehmen und ebenfalls jeden Tag stundenlang Recherchen zu diversen Themen treiben, um am Abend in der Lage zu sein, einige kluge Sätze darüber zu schreiben. Leider kommen die meisten Bewunderer nicht über diesen Schritt hinaus. Die Einsicht, selbst nicht auf Anhieb zu können, was der Beneidete scheinbar mühelos kann, ist lähmend, entmutigend, ein Angriff auf das Selbstbewusstsein.”

Neid ist also nur menschlich und taucht in besonders zugespitzer Form im Internet auf. Als Adressat tut es immer gut sich vom Gefühl des Rechtfertigens frei zu machen, nur noch inhaltliche Diskussionen zu führen und zu akzeptieren, dass der eigene Erfolg und die eigene Art zu leben als Provokation gegenüber denen darsteht, die davon nicht zehren können. Vom Neider vemutete Zufriedenheit ist unser provokativstes Gut! Es wirkt sehr befreiend zu verstehen, dass diese Kommentare vorhanden sind und es immer sein werden, weil der Mechanimus des Neids einfach zu menschlich ist. Natürlich ist mein “Erfolg” in dem Moment schnell provokativ, in dem man nicht versteht, dass ich jeden Tag hart arbeite, dass ich oft auch an den Wochenenden arbeite, dass ich ständig meine Kontakte pflege, aufbaue und erweitere, dass ich Mails im zweistelligen Bereich Tag für Tag freundlich und voller Liebe beantworte, dass ich eine Marke kreiert habe, dass jeden Tag tolle Ideen von mir erwartet werden, die ich pünktlich und voller Überzeugung abliefere, dass ich ständig telefonisch und auf hunderten anderen Social Media Plattformen und Kommunikationswegen erreichbar bin und Kunden dies auch gerne nutzen und dass ich ständig Deals aushandel und Konzepte entwerfe. Diese Texte und Blogtexte schreiben sich nicht von allein und hinter jedem Blogbeitrag steckt Nachdenken, Analyse, Einbau, Umbau, Schreiben, Posten, Zweifel, Erkenntnis und die Spannung wie die Reaktionen ausfallen. Das Beantworten von Fragen und der Umgang mit Neidern. Ich halte Euch immerzu auf dem Laufenden was ich mache und woran ich arbeite. Nebenher schreibe ich ein Exposé für meinen Roman. Daneben schreibe ich für Zeitungen, Seiten, entwickle kleine Projekte und führe einen Haushalt und ich bin verdammt nochmal nicht immer so glücklich und fröhlich und erfolgreich und reich und beliebt und selbstsicher, wie es den Neidern erscheinen mag. Deswegen muss ich mich schützen. Denn ich gönne mir alles.

Wie dick aber muss so eine Haut noch werden? Ist dieses Nicht-an-sich-Ranlassen wirklich so einfach?

“Dumm ist der Neid nicht nur, weil man ihm nichts Positives abgewinnen kann. Neid ist dumm, weil er aus fehlerhaftem Denken erwächst. Der Neider leidet an einem selbstgeschaffenen Phantom, das ihn zerfrisst, ehe er seine Falschheit durchschauen kann. […] Was dann folgt, ist ein alberner Schwanz an Gedanken, die auf irrationalste Weise das geknickte Selbst wiederaufzurichten suchen. […] Das Erste, was man gegen die Bedrohung unternehmen kann, ist, die Legitimität des Bewunderten anzuzweifeln. Der Neider sucht nach Widersprüchen, Fehlern und Unvollkommenheiten, einzig um nachweisen zu können, dass die beneidete Person der eigenen schmerzenden Idealvorstellung von ihr nicht standhält. Wenn Fritzi sich selbst (und am besten auch anderen!) klarmachen kann, dass der König seinem Status nicht gerecht wird, hat er die Illusion, die Chancen stünden für ihn besser, eines Tages selbst den Thron zu erklimmen.”

Viele Neider sind in dem Moment, in dem sie fehlerhaft denken sehr egozentrisch und verschaffen sich ihr kurzes Glück über das Zerstören des Glückes der anderen. In diesem Moment assozieren sie mit dem Adressaten keinesfalls den Menschen, den eine solche Bemerkung unter Umständen kränken könnte, sondern eine Bedrohung, die ihr eigens Glück bröckeln lässt. Wer sich misst, wird unglücklich. Wieso andere mehr haben als man selbst? Um sich zu schützen mutmaßt man eine Ungerechtigkeit, die dahinter stecken muss und fühlt sich fast automatisch um sein Glück betrogen und lässt es den Adressaten auch spüren.

Hilf Dir selber:

  1. Meinungen und Kommentare, die dekonstruktiv sind UND Dich verletzen, sollten Dir keinen Gedanken wert sein.

  2. Wenn Du es nicht schaffst diese Kommentare zu ignorieren oder wenn sie sich häufen, dann entferne den Urheber aus Deinem Leben/Netzwerk. Du hast ein Recht dazu!

  3. Nutze hingegen die kontruktive Kritik um daran zu wachsen und sei dankbar dafür!

Warum tummeln sich aber gefühlt so viele Neider im Netz? Vielleicht weil die harte Arbeit, die im Bereich der neuen Medien liegt, nicht von vorneherein sichtbar und für jedermann transparent ist? Weil das Internet neue Stars produziert hat? Und weil es sich nicht um Lohnarbeit handelt, an der die Investion von Zeit und Ausbildung einfach ablesbar ist?

Silenttiffy gibt einen schönen Tipp für von Neid Betroffene, um das eigene Handeln zu reflektieren:

“Was mag der Preis des Erfolges (gewesen) sein, den ich einem anderen missgönne? Und wäre ich selbst bereit, diesen Preis zu zahlen, wenn keine anderen Hindernisse mir im Weg stünden? Würde ich das höchste Tier im Betrieb sein wollen, wenn ich das Büro jeden Tag nicht vor 22:00 verlassen könnte? Möchte ich meine sozialen Kontakte der Einsamkeit des Schriftstellers opfern? Hätte ich die Nerven, mich als öffentliche Person verletzender Kritik auszusetzen? Niemand, der seine Sache gut macht, tut es „einfach so“. Überall müssen Prioritäten bestimmt und Opfer erbracht werden.”

Dass man diejenigen, die einen mit Missgunst bedenken, mit Respekt und Verständnis behandeln sollte, bedeutet noch lange nicht, dass man ihre Worte bis zu sich durchdringen lassen muss!

Published 4 Jul 2012