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PR-Texte aus der Hölle (Folge 1)

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Herzlich willkommen zu meiner neuen Serie PR-Texte aus der Hölle mit der heutigen Folge 1, in der ich mich dem 1st Village Market in Friedrichshain widme!

PR-Texter, wieso tut Ihr uns das eigentlich an? Zugegeben, schlechte Pressetexte zu verfassen ist gar nicht mal so schwer, liebe Leser. Das könnt Ihr. Das kann aber auch Eure von mir im Übrigen hochgeschätzte Mutter. Das kann ich sogar im betrunkenen Halbschlaf mit dem Handy auf dem Weg zum Klo. Daher ziehe ich letzlich hochachtungsvoll vor jedem Texter meinen Hut, der es schafft, eine gar nicht mal so schlechte Veranstaltungsidee (ich hörte der Village Markt war eigentlich eine ganz feine Sache) oder einen Künstler, der eigentlich ganz okay ist, im ungünstigsten Licht der total beliebigen Anbiederung erscheinen zu lassen. Alles ist möglich. Super Sache! Aber steckt da eigentlich eine Agenda hinter (Verschwörungstheorie “Dummer deutscher Mainstream”) oder lässt sich diese Tatsache doch einfach nur mit grenzenloser Ignoranz begründen?

Doch woran erkennt man eigentlich einen guten Pressetext? Die Antwort ist denkbar simpel: Ein guter Pressetext beinhaltet Informationen und bedient sich nur wenigen, dafür aber äußerst passgenauen Adjektiven, um das zur erwartende Flair einer Veranstaltung oder die Stimmung eines Albums oder Buches einzufangen. Weniger ist immer mehr. Nicht oft. Nicht manchmal. Immer!

Ein Beispiel? Berlin ist eben keine “pulsierende Stadt”. Berlin ist nicht “bunt und verrückt”. Hier leben nicht nur “Kreative” und “Nachtschwärmer”. Eine Stimmung, die als “einzigartig” oder “unverwechselbar” beschrieben wird, ist es in der Regel nicht. Keine Ursache.

Was also tun als jemand der einen PR-Text benötigt? Ich weiß, es ist oft schwer als kleiner Veranstalter oder milliardenschweres Label einen mutigen Schritt weg von Beliebigkeit und seelenloser Schleimerei zu wagen. Zumindest scheint es so, denn nur selten wird etwas riskiert. Mein Posteingang und meine Veranstaltungseinladungen bei Facebook, meine Newsletter und die Promotexte zu “pfiffigen” Alben-Neuerscheinungen sprechen eine deutliche Idiotensprache. Aufträge werden den immer gleichen Agenturen zugeschustert, in denen desillusionierte Texter in abgenutzten Fatboys in Neonfarben rumliegen und zum hundertsten Mal an einem Tag “Gesamterlebnis” in die Tastatur hämmern. Ich will ja keinesfalls dazu motivieren etwas Neues zu wagen, aber da draußen gibt es so viele unverbrauchte Köpfe, die nicht nur sprachbegabt sind, sondern auch ein Bündel innovativer Ideen in sich tragen. Sollten die nicht vielleicht mal einen Auftrag bekommen? Vielleicht als Reiseveranstalter mal einen schönen Katalog an Freiberuflern führen, die man durchrotieren kann und damit als netten Nebeneffekt vermeidet, dass alle Top-Hotels, egal in welchem Teil von Berlin sie liegen, mit “das junge Berlin” und “am Puls der Zeit” beworben werden?

Funfact: Im Folgenden habe ich mir einen beliebigen PR-Text für eine Veranstaltung herausgepickt, der mir heute durch die Timeline gerattert ist und habe dort alle Textpassagen kursiv markiert, die inhaltsleer, überflüssig, Floskeln oder dummes Geschwofel sind. Schade, dass es sich eigentlich um eine gelungene Veranstaltung handelte, die rein gar nichts mit dem Publikum gemein hatte, dass mit dieser Art Text angetriggert werden sollte.

Hier nun der Text und zur Erinnerung - alle Textpassagen sind kursiv markiert, die inhaltsleer, überflüssig, Floskeln oder dummes Geschwofel sind:

// STREETFOOD . ART . MUSIC //

"Im Herzen der Stadt entsteht mit dem VILLAGE MARKET ein Schmelztiegel für Kunst, Kultur und kulinarische Gaumenfreuden - ein Erlebnis- und Erfahrungsraum für die Gestaltungsfreudigen, die Kreativen und Genießer. Der VILLAGE MARKET ist ein neuer Anlaufpunkt für den Kiez und für Berlin.

Ab dem ersten Augustwochenende nehmen wir euch immer sonntags in der Neuen Heimat mit auf eine Entdeckungsreise: Inspiriert von den Straßen und Kulturen der Welt zeigen euch an über 30 Ständen etablierte Streetfood-Veteranen und zahlreiche junge, neue Betreiber von Ständen, Foodtrucks und Garküchen wie vielfältig, exotisch und aufregend diese mobile Art des Kochens sein kann.

Damit ihr nicht auf dem Trockenen sitzen müsst, gibt es neben den zahlreichen Essensständen Cocktails, auserlesene Weine, besondere Biere und eine Smoothie-Bar - und das auch noch in die Nacht hinein, wenn die Streetfood-Stände um 22 Uhr schließen.

Neben dem kulinarischen Patchwork machen Kunst und Musik den VILLAGE MARKET zu einem Gesamterlebnis für alle Sinne: Performances, Theater und Künstler aller Couleur werden zukünftig den VILLAGE MARKET bevölkern. Bereits zum Opening machen Live-Bands und Überraschungs-Acts an den Turntables ihre Aufwartung, um den Abend einzuläuten und euch in die Nacht zu begleiten.

Alle weiteren Infos zu den einzelnen Ständen, ihren Köstlichkeiten und was es sonst noch beim VILLAGE MARKET zu entdecken gibt, folgen in den nächsten Tagen und Wochen. Um immer up to date zu sein, besucht auch unsere Facebook-Page unter www.facebook.com/neueheimatBLN

Wir sehen uns am 3. August - zum Schlemmen und Genießen!"

I doubt this!

Published 4 Aug 2014