Sag es laut: Mir geht es gut
Wann habe ich eigentlich das letzte Mal gedacht, mir geht es bedingungslos gut? Ohne Wenn und Aber? Ganz ohne Einschränkungen, Rückhalte und vollkommen gelöst? Niemals tat ich das. Und nun fällt plötzlich so viel Ballast von mir ab, dass ich merke wie federleicht ich eigentlich bin. Was habe ich da nur immer alles mit mir rumgetragen? Ich bin der Typ Mensch, der in bestimmten Zeitabständen seine Lebenssituation ändern muss, der neue Stimulation und Einflüsse braucht, um funktionieren zu können. Ich bin einfach kein Familienmensch. Und ich bin kein Mensch für jahrelange Freundschaften. Ich brauche den Wandel. Diese Erkenntnis ist in den letzten Tagen zu einer großen Sicherheit herangewachsen. Der Umzug nach San Francisco ist eine Entscheidung, die zu keinem bessern Zeitpunkt hätte getroffen werden können. Mir geht es hervorragend. Ich lache sogar auf Fotos.
Die Tage hier in San Francisco spielen mir zu. Es ist hell und mein Wohnzimmer ist 600,7 km² groß, von einer aufregenden Bay umgeben und riecht nach Carne Asada und exotischem Obst. Ich stehe jeden Morgen ohne Wecker um halb Sieben mit der Sonne auf, um draußen zu frühstücken, bei Phillz Coffee den besten Kaffee der Welt zu trinken und Scones mit Blueberries und Birnen zu essen. In den letzten Tagen war ich an keinem einzigen Tag mehr als zwei Stunden zuhause - es sei denn ich habe geschlafen.
Und Zuhause? Ja, das gibt es nun. Auch wenn die derzeitige Wohnung erstmal nur für diesen Monat ist, denn danach geht es nach New York weiter und im Juni nochmal nach Berlin. Die Wohnung in der wir gerade leben hat eine eigene Dachterrasse und ich möchte mich nicht beschweren. Mitten im schönen Mission District. Direkt vor der Türe die besten Taquerien der Welt, das bunteste Obst und die durchmischteste Szene die man sich vorstellen kann. Die Flugtickets für meinen Freund, die Katze und mich sind gekauft. Am ersten Juli findet dann der “große” Umzug statt.
Das Gefühl beim Transport vom Flughafen in unseren Stadtteil war irrsinnig. Ich war mehr als übermüdet und mit den Nerven nach dem langen Flug, der mir immer alles abfordert, ziemlich runter. Ich hasse es fremde Menschen zu riechen. Ich hasse es Rücksicht zu nehmen und ich hasse enge Räume und wenn mein Arm den Arm von Menschen berührt, die der Stewardess auf den Arsch glotzen und dann zu ihrer Begleitung “Ist die nicht zu fett für den Job?” sagen. Eingefercht und immer mit dem Gedanken “Durchhalten!”. Fünfzehn lange Stunden. Dann noch durch die ESTA Kontrolle am Flughafen und den Koffer vom Zoll zerwühlen lassen - mit der Frage ob ich von einer holländischen “Farm” komme. Raus aus dem Flughafen. In die BART reinfallen. Erst unterirdisch und dann sieht man zum ersten Mal die Landschaft. Es geht nach oben. Und es wird wüstiger. Ein paar Palmen und rote Erde. Sandiger. Ein bisschen wie in Breaking Bad. Man fühlt sich fremd und das tut einem heimatskritischen Menschen wie mir verdammt gut.
San Francisco hat herrliche Stadtteile. Am Wochenende hat es uns direkt nach Chinatown getrieben, weil ich Fan von authentischer Küche und szenischen Straßenzügen bin. Plötzlich wimmelte die ganze Straße von Asiaten. Eine Demo mit Hakenkreuzen zog an uns vorbei (religiöses Symbol) und man fühlte sich wie in einem brummenden Ameisenhaufen. Schnell ein paar frischgemachte und gedämpfte Dim Sum auf die Hand greifen und meine Neuentdeckung (Pork Buns) für einen lächerlichen Preis kaufen und auf dem Bordstein mit schmutzigen Händen in sich reinschieben, während um einen herum die Welt tobt, in der man seinerseits gerade wütet. Was noch kommen mag, ich weiß es nicht.