Sofawissenschaften
Jeder der im Internet schon mal auf den bekannten Kleinanzeigenseiten nach gebrauchten Sofas gesucht hat, kennt das Gefühl des totalen Ausgeliefertseins an die unpassenden Adjektive aus schwammigen Beschreibungen von selbsternannten Innenarchitekturexperten der dörflichen Randgebiete. "Modische Sofas", "gemütliche Sofakuschellandschaften" und viel Terracotta und Wischtechnik. Vielleicht zu viel? Die Fotos erzählen Geschichten, die man eigentlich nie hören wollte. Und schon hat man eine posttraumatische Belastungsstörung oder kämpft sein Leben lang mit Panikattacken. Sofasuche.
Ich stelle in diesem Artikel die bewegendsten Modelle meiner gestrigen Recherche im Raum Berlin vor und verliere einige Worte über Designaspekte, sowie zum aktuellen Stand der Sofawissenschaftsforschung. Wer bis zum Ende liest, darf sich 8KP in das Modul "Wollte ich niemals wissen" eintragen.
Blaues Kunstleder. Was war nochmal genau das Motiv sich für ein blaues Sofa zu entscheiden? Und was ist nochmal genau das Motiv sich für Kunstleder zu entscheiden? Die Wissenschaft hat darauf eine Antwort: Kommen bei Polstermöbel zwei unklare Motive zusammen, handelt es sich um einen Käufer, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den ganzen Tag nackt mit einem lebensgroßen Guido Westerwelle Poster auf dem Sofa sitzt und über Bluetooth philosophiert. Der Käufer ist in erster Linie sehr egozentrisch. Er wird Euch unter keinen Umständen helfen das Sofa zum Auto zu tragen. Wenn Ihr weg seid, lässt er den Artikel noch einige Tage im Internet stehen, damit Menschen anrufen und etwas von ihm wollen. Für ihn fühlt sich das richtig an. Der Farbton nennt sich übrigens "Manhatten Blau" und wird von arbeitslosen 90er Jahre Werbern im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auf Möbel mit Stahlfüßen gerotzt.
Terracotta hießt in meiner Schulzeit noch Fleischfarbe und war Nudisten und Metzgern vorbehalten. In den 90er Jahren wurde der mysteriöse Farbton dann in "Terracotta" umbenannt, um seinen globalen Siegeszug in die Wohnungen von geschiedenen Sozialpädgoginnen und in die Plattenbauten der ostdeutschen Kleinstädte anzutreten. Dieses Sofa könnte theoretisch interessant sein, wenn es Titten hätte. Hat es aber nicht. Und mal ehrlich, wer will schon auf einem Polstermöbel sitzen und sich ständig überlegen müssen, ob man ihm eigentlich die Fußnägel schneiden muss.
Ich wünschte ich hätte 600 Euro über um mir diesen Designertraum leisten zu können. Ein echtes Schnäppchen wenn man überlegt, dass dieser wendige Sportwagen mal 4000 Euro gekostet hat. Deswegen steht er auch heute runtergeranzt in Köpenick und wartet auf den neuen TÜV. Sofas, die aussehen wie futuristische Kleinwagen, lösen nicht nur das Emissionsproblem der Neuzeit, sondern kaschieren auch bequem kleinere Egoedfizite. Wer Gäste eine Runde mit dem Flitzer drehen lässt, erntet nicht nur Applaus, sondern auch abfärbende Hosen auf weißem Kunstleder.
Hier schreibt der Verkäufer "Wir sind etwas unter Zeitdruck, wenn also Interesse besteht, schnell zuschlagen!" und ich würde in der Tat gerne dieses Sofa aufsuchen und ihm dann mal richtig eine reinzimmern. Sofas, die zum Schlagen provozieren. Orange macht aggressiv und die Kombination mit Indiandermuster signalisiert dann auch dem Verstand das drigend benötigte "GO!" zum Zerprügeln der hässlichen Polstermasse.
Wow! Dieses Sofa soll mal einer verstehen! Sieht aus wie eine Raketenabschussrampe eines Gegenstandes, auf dem normalerweise nach dem Genuß von zwiebellastigen Mahlzeiten nur Richtung Boden abgefeuert wird. Auf der ausziehbaren Bettfläche finden locker 8 illegale Einwanderer eine Wohn- und Arbeitsfläche. Die Farbe erinnert mich an die Zähne der Moderatorin von "Unser Star für Baku" und das Muster ist zwar nicht mehr zu erkennen, aber trotzdem maximal schlimm. Eine üble Kombination. Immerhin ist der Preis Verhandlungssache und dürfte sich wohl im mittlernen vierstelligen Bereich bewegen.
"Dieser gepflegter Sofa", wie es in der Artikelbeschreibung heißt, ist gefühlte 20km lang. Wenn man es auf dem Alexanderplatz aufstellt, können noch Menschen in Brandenburg oder Potsdam darauf Platz nehmen. Das geheimnisvolle Foto lässt eine Unendlichkeit dieses Polstermöbels denkbar erscheinen. Was wäre wenn das Sofa einmal den Erdball umfasst? Wäre es dann ein Rundsofa? Die Sofawissenschaft hat noch keine abschließende Meinung zu diesem Wohntraum.
Mal ehrlich, eigentlich wollte ich dieses Sofa gar nicht erwähnen. Mir sitzt die Angst im Nacken, dass mir jemand dieses unglaubliche Schnäppchen für 150 Euro wegschnappen könnte. Ein Wahnsinn ist das! Die Fotos sprechen Bände. Die Sofawissenschaft ist sich einig: Schnäppchenalarm für alle, die es gerne kastenförmig, maskulin und pfirsischfarben mögen. Ein Hybrid. Macht sich vielleicht schön im neuen Gottschalk LIve Studio.
Laminat, Wischtechnik, ein nierenförmiger Furnierholztisch. Passt perfekt in den Warteraum einer Zeitarbeitsfirma oder eines "edlen" Frisörsalons in Lichtenberg. Dafür hat man die Garantie, dass auf diesem Sofa niemand gestorben ist, denn dort kommt man einfach nicht zur Ruhe. Aggressive und wilde Musterung des Poslters. Durchbrochene Flächen. Der Designer hat ein unglaubliches Händchen für die Lokalisierung des Brechzentrums. Sieht bestimmt exzellent unter einer BVG Flagge aus. Wohnzimmerfüllmaterial für Tangaträger.
Man fragt sich die ganze Zeit nur, wer das Teil eigentlich schlachtet und ob das Fleisch gut schmeckt. Die Sofawissenschaft rät allerdings vom Verzehr ab.
Der Verkäufer benutzt den Fachausdruck "Terraorange", den wir sonst nur von den Beinen von Loveparadeteilnehmern, extraterrestrischen Begegnungen oder den großen Spaßautos der Müllabfuhr kennen. Von "sehr gut erhalten" ist die Rede. Man darf sich also wieder jung fühlen. Das Sofa sieht aus als wäre es eigentlich terracottafarben und bloß aufgrund seiner absurd hässlichen Form peinlich errötet. Da schämt sich jemand. Zu Recht.
Dieses einmalig schöne Stück wird mit "beige bunt" angepriesen. Beige bunt ist ein Paradoxon, aber vielleicht die Erklärung, warum so viele Renter beige Hosen tragen. Die Sofawissenschaft hinterfragt derzeit, ob Beige in einer anderen Dekade als bunt galt. Und wenn nein, warum das auch richtig so ist.